WORKSHOPS: Einstieg ins Mastering

Werkzeug Ohr

Das Gehör ist unser Hauptarbeitswerkzeug. Das Verstehen und der vernünftige Umgang mit diesem Organ bildet die Voraussetzung für ein erfolgreiches und gesundes Arbeiten. Hören Sie zu laut ab, ermüdet das Gehör schneller. Gönnen Sie Ihrem Gehör in regelmäßigen Abständen Erholungspausen. Im Allgemeinen nimmt die Hörfähigkeit mit zunehmendem Alter ab. Je mehr die Ohren bereits in jungen Jahren zu lauten Schallquellen ausgesetzt werden, umso früher machen sich die Verschleißerscheinungen bemerkbar.

Abhörlautstärke

Beim Abhören unter hohen Lautstärken ermüdet das Gehör, wie bereits erwähnt, schneller. Wenige Sekunden sehr lautes oder minutenlanges lautes Hören können das sinnvolle Weiterarbeiten für einen Tag sofort beenden. Erkältungen etwa (physische Veränderungen innerhalb der Gehörorgane) können unser Hören erheblich beeinflussen. Hohe Lautstärken lassen vordergründig alles besser und druckvoller klingen. Das Gehirn kann Pegelunterschiede bei hohen Lautstärken kaum noch unterscheiden. Hören Sie zu leise, ist die Gefahr einer Überbetonung der Bässe und Höhen (Loudness-Effekt) sehr hoch. Ein Abhören bei Zimmerlautstärke mit kurzzeitigem lauteren bzw. leiserem Abhören ist in den meisten Fällen sinnvoller. Abhördauer Da sich durch eine Dauerbeschallung unweigerlich ein Gewöhnungseffekt einstellt – beispielsweise werden aggressive Frequenzen nicht mehr als aggressiv empfunden –, ist bei längeren Arbeitssitzungen das Einlegen von Pausen in regelmäßigen Abständen unbedingt notwendig.

Das Fletcher-Munson-Phänomen

Auf Basis verschiedener Messreihen erstellten die US-amerikanischen Wissenschaftler Fletcher und Munson die so genannten ›Kurven gleicher Lautheit‹. Als Grundlage für diese Messungen diente die Tatsache, dass das Anheben oder Absenken von unterschiedlichen Frequenzbereichen um den gleichen Faktor von unserem Gehör als unterschiedlich laut empfunden wird. In geringen Lautstärken werden tiefe und sehr hohe Frequenzen leiser als die Mittenfrequenzen wahrgenommen, ein Grund dafür, warum viele Hi-Fi-Verstärker mit einer Loudness-Funktion ausgestattet sind. Dieser hebt bei leisem Hören den Bass- und den Höhenbereich mit Hilfe von Shelving-Filtern (auch Kuhschwanzfilter genannt) an. Dass etwa die tiefen Frequenzen von uns wesentlich leiser wahrgenommen werden, können Sie gut mit Hilfe eines Frequenzspektrum-Analyzers beobachten.

Die meisten Mixe aus dem Mainstream-Pop-Bereich werden mit einer starken Anhebung des Bassbereichs angezeigt. Das bedeutet: Damit wir die Frequenzen, die von uns schwächer wahrgenommen werden, in einem ausgewogenen Verhältnis mit den übrigen Frequenzen hören, müssen wir die Bassbereiche deutlich höher verstärken. Die neutralste Wiedergabelautstärke liegt bei ca. 85 dB. Allerdings sollten Sie bei dieser Lautstärke wegen der stärkeren Beanspruchung Ihrer Ohren nur kurzzeitig abhören. Schallpegel-Messgeräte oder Pegelmeter diverser Anbieter sind im Handel erhältlich. In einigen Analyzern sind unter der Bezeichnung ›Bewertungsfilter‹ Kurven enthalten (Weighting-Filter), die unter Berücksichtigung dieses Phänomens zur Beurteilung von Audiomaterial herangezogen werden können. Das ist etwa der Fall im PAS Spectrum Analyzer, zudem Sie auf der DVD dieses Buches eines 10-minütiges Tutorial finden.

"Laut" ist nicht gleich "laut"?

Wie Sie bereits im vorhergehenden Abschnitt erfahren haben, empfinden wir bei gleichem Signalpegel manche Frequenzbereiche lauter bzw. leiser als andere. Dies ist eindeutig ein Ergebnis der Evolution ! Der Mensch achtet besonders auf die Frequenzbereiche, die mit Gefahr oder Informationsvermittlung in Zusammenhang stehen. Schließlich hing früher mehr als vielleicht heutzutage das tägliche Überleben davon ab. Unsere Aufmerksamkeit wird besonders durch Frequenzen geweckt, die im Bereich der menschlichen Stimme liegen. Wir identifizieren unbewusst Unseresgleichen damit. Der Informationsaustausch bzw. die dadurch stattfindende Kommunikation hat nach wie vor einen sehr hohen Stellenwert in unserem Leben. Uralte Sinne etwa zur Fortpflanzung oder der Feindabwehr werden angeregt.

Dieses Urverhalten macht man sich gerne in der Werbung nicht nur im Bereich der optischen, sondern auch im Bereich der akustischen Darstellung zu Nutze. Alle wichtigen Informationen werden in der Regel durch die menschliche Stimme vermittelt. Dabei fallen hohe Frequenzen besonders auf und setzen sich am besten durch. Ein Grund, warum in komplexen Musikarrangements hohe Instrumente oder Sopranstimmen als Signalträger für die Melodie eingesetzt werden. Psychoakustisch gesehen wird unsere Aufmerksamkeit automatisch auf Signale in einem Frequenzbereich von ca. 2 kHz bis ca. 6 kHz gelenkt. Denken Sie also immer daran, dass ein Arrangement, in dem entscheidende Signalanteile in diesem Bereich fehlen, es stets schwer haben wird, sich neben anderen Arrangements, wo diese Signalanteile vorhanden sind, bei gleichem Ausgangspegel durchzusetzen. Bessern Sie selbst aus oder lassen Sie lieber im Arrangement nacharbeiten, bevor Sie versuchen, aus einem Mix etwas herauszuholen, was gar nicht vorhanden ist.

Methoden des Hörens

Wenn mich jemand danach fragt, wie mir eine Aufnahme gefällt, antworte ich mit einer Gegenfrage: Unter welchem Aspekt soll ich das Material denn anhören und beurteilen ? Bei der Einschätzung von Audiomaterial müssen Sie klar unterscheiden, ob die Komposition, das Arrangement, die Auswahl der Instrumente und Sounds, die Aufnahmequalität, der Mix, die Audioqualität (etwa Clicks) oder die Eignung für ein bestimmtes Genre Gegenstand der Betrachtung sein soll.

Musikalisches Hören

Ob ein Mix alle Kriterien erfüllt, die Sie bezüglich des Masterings an ihn stellen, müssen Sie während des ersten Durchhörens bzw. Betrachtens (Wave-Darstellung am Bildschirm) entscheiden.

Folgende Aspekte spielen dabei eine Rolle:

Bis ein Mix vorliegt, sind in der Regel zahlreiche Arbeitsschritte durchlaufen worden. Als Erstes sollten Sie sich fragen, für welchen Zweck diese Produktion vorgesehen ist. Soll es eine Clubversion, ein Filmsoundtrack, eine Klassikproduktion werden?

Schwächen und Stärken innerhalb eines Mix können auf Grund dieser Vorgabe klar bestimmt werden. Es ist etwas vollkommen anderes, ob Sie den Bassbereich einer Produktion nach den Kriterien einer Jazz- oder einer Technoproduktion betrachten. Während in der Technomusik eine eindeutige "Dancetauglichkeit" – eindeutiges Kick- bzw. Bass-Signal – verlangt wird, wäre dies im Rahmen einer filigranen Jazzproduktion wohl eher fragwürdig.

Beurteilen Sie, ob die Auswahl und Anordnung der Instrumente ein ausreichend dichtes und stereofones Klangbild ergibt. Wie sieht es mit der Monokompatibilität aus? Bieten die ausgewählten Instrumente genügend Frequenzmaterial, um ihrer musikalischen Funktion gerecht werden zu können ? Hat also etwa der Bass genug Bassfrequenzen? Sie müssen beurteilen, ob Fehler, die sich in einem der vorherigen Arbeitsschritte eingeschlichen haben, noch reparabel sind. Sind rhythmische, melodische (etwa falsche Töne) oder harmonische Fehler gemacht worden? Im ungünstigsten Fall muss der Mix neu erstellt oder Instrumente ausgetauscht bzw. hinzugefügt werden. All dies verlangt vom Ingenieur ein großes Maß an Erfahrung sowohl in musikalischer als auch technischer Hinsicht.

Chirurgisches (analytisches) Hören

Neben den musikalischen Aspekten spielt die technische Betrachtung der Audiodatei eine wichtige Rolle. Sind Fehler (etwa Clicks, Rauschen, Brummen oder unerwünschte Verzerrungen) vorhanden ? Können diese beseitigt werden, ohne dass das übrige Material zu sehr in Mitleidenschaft gezogen wird? Verfügt der angelieferte Mix noch über Dynamik – Voraussetzung zum Ausgleichen von Lautstärkemissverhältnissen – oder ist das Material bereits ›tot komprimiert‹ worden? Ist ausreichend Platz am Ende des Titels vorhanden, um einen natürlich ausklingenden Fade erzeugen zu können? Auch hier kann in letzter Konsequenz nur eine Neuaufnahme bzw. eine Nachkorrektur im Mix Abhilfe schaffen.

Einstieg ins Mastering (Georg Berhausen-Land)

Auszug aus EINSTIEG INS MASTERING: PRAXISKURS MIT DVD
Autor: Georg Berhausen-Land

Wizoo Publishing GmbH
176 Seiten
24,90 Euro

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